Pädiatrische Palliative Care – was bedeutet das?

Auch wenn sich die Begriffe Palliative Care in Fachkreisen und zunehmend in der Gesellschaft verbreiten, bleibt doch oft unklar, was genau damit gemeint ist. Die Worte lösen Angst und Betroffenheit aus und werden mit negativen Gefühlen in Verbindung gebracht. Da dies ein Schwerpunkt unserer täglichen Arbeit ist, möchten wir gerne mehr davon erzählen und aufzeigen, dass palliative Pflege weitaus mehr ist, als das Begleiten und Pflegen eines Menschen in den letzten Lebenstagen.

Im vergangenen Jahresbericht hat uns Sarina von ihrer Chemotherapie zuhause erzählt. So erfolgreich die Therapie und Behandlung von Sarina lange auch war, ihr Weg war ein anderer. Sie ist im engen Familienkreis und in Begleitung der Kinderspitex im vergangenen Sommer zuhause verstorben. Bis zuletzt konnte Sarina, getragen von der Liebe und Fürsorge ihrer Familie und ihrer Freunde, ihr Leben trotz der schweren Krankheit leben und immer wieder freudige und intensive Momente erleben. Immer wieder hat sie uns mit ihrer Art, ihr Leben anzunehmen, berührt. In Erinnerung bleiben ihr strahlendes Lachen und ihr Lebensmut.  

Aus einem Gespräch mit der Mutter von Sarina dürfen wir davon berichten, was Palliative Care sein kann. Und aus Gesprächen mit Mitarbeiterinnen erzählen wir davon, wie ihr Erleben in palliativen Situationen ist. 

An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön der Mutter und den Mitarbeiterinnen für ihre Offenheit und Bereitschaft, dies mit uns zu teilen. Und ein Dankeschön an Sarina. Für all das, was sie uns über das Leben und das Sterben gelehrt hat.  

Noch immer ist die Vorstellung verbreitet, Palliative Care kommt dann, wenn man nichts mehr machen kann. Nichts mehr machen im Sinne von weiteren medizinischen und therapeutischen Massnahmen, die eine Heilung ermöglichen. Ein Gefühl von Unsicherheit und Unausgesprochenem verknüpft sich mit diesen Begriffen und die Frage kommt auf: Dürfen wir denn davon sprechen? Nehmen wir damit nicht jede Hoffnung auf Heilung? Gerade deshalb ist es wichtig, darüber zu sprechen, was Palliative Care bedeutet. 

«Palliative», aus dem Lateinischen abgeleitet von «pallium», heisst übersetzt auf Deutsch: der Mantel, ummanteln. Im medizinisch-pflegerischen Kontext bedeutet dies: lindern, mildern, beschönigen und auch der Schwere der Schmerzen oder der Krankheit eine vorübergehende Erleichterung zu verschaffen. Care kommt aus dem altenglischen «caru», «cearu». Dies wird übersetzt mit Obhut, mit der Absicht des Schutzes und des Bewahrens. Nebst der Definition von Palliative Care der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 1990 orientieren wir uns an der Definition der englischen Organisation für Kinder und Jugendliche mit lebenslimitierenden Erkrankungen. In einer freien Übersetzung aus dem Englischen umfasst diese Definition folgendes: 

Kinder Palliative Care: Palliative Care für Kinder und Jugendliche mit lebenslimitierenden Erkrankungen ist eine aktive und ganzheitliche Annäherung an Pflege und Fürsorge, vom Zeitpunkt der Diagnosestellung oder Erkennung, die physischen, emotionalen, sozialen und spirituellen Aspekte umfassend, bis hin zum Tode und darüber hinaus. Sie fokussiert die Erhöhung der Lebensqualität des Kindes oder Jugendlichen und die Unterstützung für die Familie und beinhaltet das Symptommanagement, das Ermöglichen von kurzen Pausen für die Angehörigen und die Pflege bis hin zum Tode und während der Trauerphase. (eigene Übersetzung)

Doch was bedeutet das? Im Gespräch mit der Mutter von Sarina erzählt sie von dem Tag, an dem ihre Tochter verstorben ist. Bereits am Vortag kam es zu einer Verschlechterung des Zustandes, doch die Mutter erzählt, selbst sie konnte zu diesem Zeitpunkt nicht erfassen, wie nahe der Tod war. Anders die Pflegenden und der Arzt, der notfallmässig vorbeikam. Ihnen war klar, dass nun die letzten Schritte bevorstanden. Sarinas Mutter schildert den Tag, erzählt von ihrem Dasein für ihre Tochter, aber auch von dem Nicht-wahrhaben-Wollen und -Können. Die Mitarbeiterinnen der Kinderspitex, die die ganze Zeit vor Ort waren, haben die Familie begleitet. Ganz direkt in der Pflege, dann wieder nur in ihrem Dasein im Hintergrund. Und im Gespräch berichtet die Mutter von diesem Gefühl des Aufgehobenseins und des Umhülltseins. Dass die Kinderspitex da war, gab ihr eine Sicherheit, von der sie sich getragen fühlte. Auch dann, als ihre Tochter begann, so seltsam zu atmen. Etwas, was die Mutter von ihrem Grossvater her kannte, als er im Sterben lag. Das Netz von Familie und Fachpersonen zuhause schuf eine Atmosphäre der Ruhe und Geborgenheit. Und so konnte Sarina zuhause in ihrem Bett, begleitet von den ihr wichtigsten Menschen, friedlich sterben. 

Dies waren die letzten Stunden vor Sarinas Tod, doch die palliative Pflege hat schon lange vorher begonnen. Wir gehen davon aus, dass palliative Pflege dann einsetzt, wenn die Möglichkeit eines Versterbens auch mit im Raume ist. Dies bedeutet dennoch, dass die Hoffnung immer bleibt. Sarina hat dies mit ihrer Art, diesen Weg zu gehen, immer wieder deutlich gemacht. Sie hat ihre Träume und Hoffnungen nie aufgegeben und bis zuletzt an ihre Fallschirmprüfung geglaubt. 

Im Gespräch mit den Pflegenden wird deutlich, dass diese Gratwanderung nicht immer einfach ist. Zum einen wussten sie, dass Sarina mit ihrem Lebensmut die Menschen um sich herum geschützt hat. Sie wollte, dass es ihnen gut geht, das machte es auch für Sarina selbst einfacher. Und doch gab es auch die Momente, in denen das Ansprechen des möglichen Todes für alle sehr schwer wurde. Die Balance zu finden zwischen hoffnungsvollem In-die-Zukunft-blicken und Gesprächen darüber, was zu tun ist, wenn sich der gesundheitliche Zustand verschlechtert, ist immer wieder Thema an den Fallbesprechungen bei der Kinderspitex. Auch die Mutter weist darauf hin, wie wichtig es ist, dies rechtzeitig anzusprechen. 

Sarina hatte ein festes Team von Bezugspersonen der Kinderspitex. Frauen, die sie über eine lange Zeit begleiteten, zuerst in all den Monaten der Chemotherapie zuhause, dann zunehmend auf ihrem letzten Weg. Eine wichtige Funktion liegt auch bei der Einsatzleiterin, die im Hintergrund die Personalführung, die Klärung der medizinisch-pflegerischen Aspekte und die ganze Koordination übernimmt, doch gleichwohl für die Familie eine direkte Ansprechperson bleibt und auch immer wieder für Gespräche vor Ort anwesend ist. 

Die Mitarbeiterinnen erzählen von den Begegnungen, von all den Gesprächen, von all dem Lachen und auch von den traurigen Momenten. Von Momenten der eigenen Betroffenheit und der Trauer. Und immer wieder von der Dankbarkeit und von dem, was sie selbst aus dieser Begleitung lernen und erfahren durften. 

So sind die Mitarbeiterinnen zu wichtigen Bezugspersonen in diesen letzten Lebensjahren von Sarina geworden. Die intensive Therapie zuhause und dann die nahe Begleitung bis zum Tod sowie die weitere Begleitung der Familie nach dem Tod prägen auch das Erleben der Mutter. Es wird einsam, erzählt sie. Bereits während der Krankheit hat die Isolation zugenommen, und da waren die Frauen von der Kinderspitex immer da. Das hat Vertrauen und Nähe geschaffen, für alle Beteiligten. Nun, nachdem Sarina verstorben ist, verspürt sie die Angst und Scheu der Menschen, unvoreingenommen auf sie zuzugehen. Sie erzählt von der Kontaktfreudigkeit von Sarina, bis zuletzt, und sie weiss, auch sie wird langsam den Weg zurück ins Leben finden. Vieles steht noch bevor, Weihnachten und auch der erste Geburtstag ohne Sarina. Und doch bleibt die Nähe und Verbundenheit mit ihrer Tochter, einfach auf einer anderen Ebene, denn Sarina ist immer und überall präsent. 

Auch in dieser Zeit der Trauer gibt es Besuche durch die Kinderspitex. Dabei geht es zum einen darum, sich gemeinsam an die Zeit mit dem verstorbenen Kind zu erinnern. Ein wertvolles Austauschen und liebevolles Berühren von gemeinsam Erlebtem. Doch auch wenn noch Fragen gestellt oder weitere Unterstützung notwendig werden, können die Fachpersonen der Kinderspitex in Gesprächen Hilfeleistungen bieten. Diese Trauerbegleitung nach dem Versterben eines Kindes wird bei der Kinderspitex ausschliesslich durch Spendengelder finanziert. Dank diesen grosszügigen Spenden können wir die gewachsenen Beziehungen auf eine natürliche Art und Weise weiterführen und dann abschliessen, wenn der Zeitpunkt dafür gekommen ist. Dies ist für die Familien wie auch für die Mitarbeiterinnen ein wichtiger Aspekt der Trauerverarbeitung und gehört bei uns bei der Kinderspitex zu einer ganzheitlichen Pflege. 

Die Geschichte von Sarina zeigt auf, was pädiatrische Palliative Care bedeuten kann. Dass dies weit mehr ist als eine gute Pflege und ein gutes Symptommanagement. Sie zeigt auch auf, dass es gelebte Geschichte und gelebte Beziehungen sind, gelebt von Menschen.   

Regula Buder, Pflegeexpertin, MAS Palliative Care,
Qualitätsverantwortliche und Leitung Geschäftsstelle Stv.  

Lesen Sie auch den Zeitungsartikel ‚Noch einmal glücklich sein – Kinder sollten vermehrt zuhause sterben dürfen….‘ vom 11. März 2017