Lenora – zurück in den Alltag

Pädiatrisch-Psychiatrische Pflege von Kindern und Jugendlichen Seit vielen Jahren gehört auch die professionelle Pflege von Kindern und Jugendlichen mit einer psychiatrischen Erkrankung zu unseren Aufgaben. Noch immer sind diese Kinder und Jugendlichen in einem Schattenbereich und oft dauert es lange, bis sie entsprechende Hilfe und Pflege erhalten. Das spezialisierte Psychiatrie-Team der Kinderspitex begleitet Kinder und Jugendliche auf ihrem Weg zurück in ihren Alltag.

Die Pandemie hat die Situation verschärft, jedoch wurde bereits vorher deutlich, dass eine professionelle aufsuchende Pflege unabdingbar ist. So arbeiten wir nahe mit den verantwortlichen Ärzten und Therapeuten zusammen, doch vor allem mit dem erkrankten Kind und seiner Familie. Dies geschieht Zuhause, auf dem Schulweg oder in der Umgebung, in der das Kind oder die/der Jugendliche seinen Alltag verbringt. Es kann nach einem Klinikaufenthalt sein oder auch um einen solchen zu verhindern. Was dies bedeuten kann, zeigt ein kleiner Einblick in die Geschichte von Lenora. Es ist wichtig, davon zu erzählen, damit diese Kinder und Jugendlichen ein Gesicht bekommen und die Notwendigkeit einer gezielten Pflege und Begleitung deutlich wird. So konnten wir im vergangenen Jahr unseren Fachbereich Psychiatrie weiter ausbauen und an der Pädiatriefachtagung im November bei einem Vortrag von unserer Arbeit erzählen. Dies ist auf grosses Interesse gestossen und dank all den betroffenen Menschen, die ihre Geschichte teilen, gelingt es zunehmend, auch die Öffentlichkeit zu sensibilisieren. Dies ist dringend notwendig, da es sich immer noch um einen Tabubereich handelt und das Leiden der betroffenen Familien oft sehr gross ist.

Zurück in den Alltag
Unsere Mitarbeiterinnen erzählen:

Nach ihrem dreimonatigen Klinikaufenthalt lebte Lenora während einem ganzen Monat völlig isoliert zu Hause. Sie verliess ihr Zimmer nur selten, die Wohnung gar nicht mehr. Ihre Sozialphobie und diverse Ängste waren riesig und machten ihr jegliches Teilnehmen an einem sozialen Leben oder normalen Alltag unmöglich.

Bei unserem Erstkontakt fiel uns sofort ihre Zielstrebigkeit positiv auf. Lenora hat eine eigene starke Meinung und war gewillt, sich realistische Ziele zu setzen und an sich zu arbeiten, um aus der Isolation heraus zu finden. Ihr grösster Wunsch und zugleich ihr entferntestes Ziel war es, nach den Sommerferien mit dem Gymnasium zu beginnen. Am Anfang unserer Einsätze stand im Vordergrund, dass Lenora wieder gewohnte Alltagsfertigkeiten zurückerlangen konnte. Wir besprachen zusammen die bevorstehende Woche sowie ihre Tagesstruktur und planten gezielt wieder Aktivitäten mit ein, bei denen sie die Wohnung verlassen und in die Öffentlichkeit gehen musste. Dazu gehörten Einkaufen mit ihrer Mutter, Klavierunterricht in der Nähe ihres Wohnorts, ein Besuch bei ihrem Hausarzt oder der wöchentliche Termin bei ihrer Psychologin. In einem weiteren Schritt kam das gezielte Expositions-Training dazu. Da begleiteten wir Lenora in die Migros, in der sie kleine Einkäufe selbständig erledigen konnte. Hielten sich viele Leute in einem Laden auf, gab Lenora einen hohen Stresslevel an. Durch das Training und unsere Begleitung lernte sie jedoch, damit umzugehen und gewann so Sicherheit und Gelassenheit zurück. Lenora war von Anfang an gewillt, sich über diverse Möglichkeiten zu informieren - unter anderem kam schon bald der Wunsch auf, sich nach einem Therapiehund umzuschauen. Tapfer nahm Sie eine Hürde nach der anderen und wurde schlussendlich - nach vielen E-Mails und Telefonaten - fündig. Hank, ihr Therapie-hund gibt ihr heute die nötige Sicherheit, um sich in der Öffentlichkeit wieder weitgehend ohne grosse Ängste zu bewegen. Ihre Skills, welche sie zu Beginn der Einsätze oft gebraucht hat, trägt sie nach wie vor im Rucksack mit, wendet diese jedoch nur noch in Ausnahmesituationen an.

Lenora hat jeden Schritt mit uns Mitarbeiterinnen von der Kinderspitex Nordwestschweiz, der Psychologin oder ihrem Hausarzt besprochen. Der Austausch unter den verschiedenen interdisziplinären Diensten erachten wir als besonders wichtig und dieser fand regelmässig statt.

Mittlerweilen darf Lenora zufrieden auf ein anspruchsvolles, herausforderndes jedoch auch interessantes Semester am Gymnasium zurückblicken, welches sie mit viel Disziplin, der nötigen Geduld und dem Durchhaltewillen bewundernswert gemeistert hat. Sie hat zudem ihre Selbständigkeit schrittweise zurückerlangt und bereits neue Zukunftspläne bezüglich eigenständigem Wohnen.

In einem Gespräch mit Lenora erzählt sie uns, wie sie es erlebt hat:

Lenora, wie hast du unsere Einsätze erlebt?

«Für mich waren sie wie die Therapie. In der Klinik hatte ich zwei Mal pro Woche Therapie bei der Psychologin, nach meinem Austritt aber nur noch einmal die Woche. Da war ich sehr froh über die Einsätze der Kinderspitex.»

Was hat dir besonders geholfen?

«Da ich nach meinem Klinikaufenthalt während einem ganzen Monat gar nicht mehr nach draussen konnte, war es mir dank der Begleitung der Kinderspitex wieder möglich, Aktivitäten ausserhalb meines Zuhauses nachzugehen. Ich lernte, mit meinen sozialen Ängsten - die zu Beginn im Vordergrund standen - umzugehen und diese langsam abzubauen. Zudem war ich dankbar für die Unterstützung bei der Planung einer geordneten Tagesstruktur.»

Wie ist es heute für dich, wenn du alleine oder zusammen mit deinem Therapiehund Hank nach draussen in die Öffentlichkeit gehen musst?

«Meine Ängste sind bedeutend weniger und vor allem weiss ich, wie ich damit umgehen kann. Nach wie vor habe ich meine Skills in meinem Rucksack, diese aber schon seit längerem nicht mehr gebraucht!»

Ein wichtiges Ziel bei unserer Arbeit ist die Befähigung, dass die betroffenen Kinder und Jugendlichen ihren gewohnten Alltag wiederaufnehmen können. Dazu braucht es die sogenannten aufsuchenden Einsätze - also Pflegeinsätze Zuhause vor Ort, damit die Alltagsfertigkeiten auch dort trainiert werden können. Denn es genügt nicht, diese zu planen oder zu besprechen. Oft braucht es auch die gezielte Begleitung in den ersten Wochen, damit die Menschen das Vertrauen wiederaufbauen können. In diesem Sinne ist unsere Pflege nicht eine jahrelange Begleitung, sondern vielmehr eine kurzzeitige, gezielte Intervention, die das Familiensystem unterstützen kann und die Kinder und Jugendlichen befähigt, mit ihren momentanen Einschränkungen umzugehen. Wichtig dabei sind auch die sogenannten Skills-Böxli. Darin können Dinge enthalten sein wie ein besonderer Fingerring, Musik mit Kopfhörern oder scharfe Kaugummis sein.

Wir befähigen und motivieren auch dazu, dass die Jugendlichen wieder zu ihren eigenen Werkzeugen greifen können, wie zum Beispiel das Zeichnen bei der Jugendlichen Redscar-eyes. Zeichnungen von ihr dürfen wir in diesem Jahresbericht abbilden. Dass sie wieder Zeichnen kann, bedeutet für sie das Wiedererlangen einer wichtigen Strategie für ihren Alltag. Gelingt dies, ist ein wichtiger Schritt getan, damit auch die Reintegration in den Alltag in Angriff genommen werden kann. Und dies muss - gerade wenn es um Kinder und Jugendliche geht - ein zentrales Anliegen unserer Gesellschaft - und nicht nur ein Problem der betroffenen Familien – sein.

 

// Text: Regula Buder, Pflegeexpertin, MAS Palliative Care, Qualitätsverantwortliche und Geschäftsleitung Stv. , Chantal Tsolakis, Fall- und Personalführungsverantwortliche ,Fachgebiet pädiatrisch psychiatrische Pflege , Ursula Spycher, Pflegefachfrau HF
// Im Bild: Lenora mit Therapiehund Hank