Lou – Alles andere als Sommerferien

«Eigentlich wollten wir mit der Familie zwei Wochen nach Mallorca in die Ferien fahren, aber das war unmöglich. Mir ging es nicht gut und auch die Ärzte rieten uns fest davon ab.»

Zu diesem Zeitpunkt hat Lou schon eine lange Geschichte hinter sich. Sie und unsere Mitarbeiterin Karin Martin erzählen davon, wie es gelingen kann, auch unter schwierigen Umständen die Selbstständigkeit so weit wie möglich zu erhalten.

Die beiden erzählen:
Ich bin unterwegs für eine Bedarfsabklärung bei Lou zu Hause. Ich werde herzlich willkommen geheissen und die ganze Familie ist sehr gespannt, was es bedeuten wird, wenn die Kinderspitex nun regelmässig vorbeikommt. Lou ist ein aufgestelltes 17-jähriges Mädchen mit einer Entwicklungsretardierung, zurückzuführen auf ihre Grunderkrankung. Alles, was ich darüber wissen muss, erzählt mir Lou offen und lebhaft.

Unser Auftrag ist es, einmal pro Woche den Port a Cath, ein implantiertes Kathetersystem direkt in die Blutgefässe, frisch anzustechen und täglich die parenterale Ernährung über diesen Zugang zu verabreichen. Das bedeutet, dass Lou ab jetzt 24h/7 Tage die Woche mit einer Infusion verbunden ist. Sie ist sehr positiv eingestellt und hofft, dass es ihr hilft. Denn Lou hat viele Spitalaufenthalte, Untersuchungen und Behandlungen hinter sich und es wird deutlich, dass ihr Zustand nur mit einer Ernährung, die direkt über die Infusion läuft, verbessert werden kann.

Zuerst hatte man es mit einer entsprechenden fettarmen Diät versucht.
«Ab dann konnte ich nichts mehr essen, ohne auf der Verpackung zu lesen, ob etwas Fett enthält oder nicht. Ich musste auf viele Sachen verzichten, z.B. Schokolade, Chips, Pommes frites……Am Anfang war es schwierig, immer daran zu denken, nur 25 Gramm Fett pro Tag zu mir zu nehmen. Die fettarme Ernährung hat mir extrem geholfen, dass ich nicht wieder Ödeme bekam und meine Blutwerte stabil blieben.»

Doch dann wurde erneut eine Verschlechterung vor den Sommerferien festgestellt und so kommt es zu den Infusionen.

Aufgrund des Alters von Lou gibt es keine Probleme mit den technischen Verrichtungen, da sie gut angeleitet werden kann und sehr kooperativ mitmacht. Viel mehr ist es zu Beginn eine Herausforderung, alles so zu organisieren, dass Lou mit dieser Infusion ihren gewohnten Tagesablauf gestalten kann. Sie besucht eine Spezialschule, wo sie täglich alleine mit den öffentlichen Verkehrsmitteln anreist. Daher ist es ihr sehr wichtig, selbständig zu sein. Auch in der Schule muss gewährleistet sein, dass die Infusion nach Verordnung läuft und auch dort brauchen wir Reservematerial für den Notfall.

Das benötigte Material für die Infusionen wird von einer Firma direkt zu der Familie nach Hause geliefert. Wir haben dort alles vorbereitet und Lou muss ein Stück von ihrem schönen Teeniezimmer für all das medizinische Instrumentarium hergeben. Ebenfalls bekommt sie einen Infusomaten, ein Gerät das gewährleistet, dass die Infusion immer in der richtigen Geschwindigkeit läuft. Dieses Gerät wird in einen speziellen Rucksack gepackt, damit Lou die Infusion immer mit dabeihat.

«Die parenterale Ernährung läuft 24 Stunden, das bedeutet, ich bin immer mit ihr verbunden. Im Spital hängt der Beutel mit der parenteralen Ernährung an einem Infusionsständer, zu Hause wollte ich keinen Infusionsständer und deshalb ist der Beutel immer in einem Rucksack versorgt. Der Beutel ist aber viel zu gross und der Rucksack anfangs auch und das ist extrem mühsam, weil ich den Rucksack fast nicht tragen kann und der Träger auch immer wieder an das Katheter-System kommt, dort wo die Nadel eingesteckt ist. Das machte mich sehr wütend. Deshalb verlangte meine Mutter schnell eine bessere Lösung. Zwei Tage später lieferte mir die Firma einen kleineren Rucksack nach Hause, der viel besser an meinen Rücken passt. Mit dem kleineren Rucksack geht es viel besser, aber es ist immer noch sehr anstrengend.»

Während der Sommerferien starten wir mit den Einsätzen. So kann sich Lou an alles gewöhnen und ausprobieren. Sie merkt bald, dass dieser Rucksack unmöglich zu tragen ist, wenn sie selbständig unterwegs sein will. Er ist für Lou zu gross und die Infusionsbeutel sind zu gross und zu schwer. So braucht es verschiedene Anpassungen, bis es für Lou machbar ist, alles selbständig zu bewältigen.

Bei all dem wird Lou von ihrer Mutter sehr unterstützt. Die Mutter wird durch uns instruiert, wie sie die Infusion wechseln kann, damit sie im Notfall schnell und richtig handeln könnte.

«Jeden Abend kommt die Kinderspitex, um mir einen neuen Beutel anzuhängen. Und einmal pro Woche muss ich eine neue Nadel haben. Ich wusste anfangs nicht, was die Spitex eigentlich ist und macht, deshalb liess ich es auf mich zukommen. Es muss alles sehr steril sein, weil die Blutader direkt ins Herz geht. Die Frauen von der Kinderspitex sind sehr, sehr lieb. Ich freue mich jeden Abend auf sie. Ich kann auch gut mit ihnen reden. Sie sind sehr vorsichtig beim Wechseln von Nadel und Beutel und haben mir nie weh gemacht. Sie erklären mir auch alles sehr gut und es interessiert mich sehr. An einem Freitag nach den Sommerferien ist die Haut unter dem Port wieder entzündet. So musste ich zurück ins Spital.»

Es zeigt sich, dass auch die Ernährung weiter angepasst werden muss, mit dem Vorteil, dass diese nun über ein anderes System verabreicht werden kann. Dies macht es für Lou und ihre Familie einfacher.

«Die neue parenterale Ernährung ist viel einfacher, denn sie muss nicht steril sein. Von jetzt an brauchen wir die Kinderspitex nicht mehr. Meine Mutter und ich können alles gemeinsam selber machen. Diese parenterale Ernährung habe ich bis heute. Am Morgen spritze ich mir zweimal 60ml Spritzen von der Nahrung in den Button, der direkt in meinen Bauch geht, dann esse ich ein fettarmes Znüni, dann ein fettarmes Zmittag, dann spritze ich wieder zweimal 60ml, dann ein fettarmes Zvieri, ein fettarmes Znacht und in der Nacht läuft eine Infusion à 600ml in meinen Körper. Das ist meine tägliche Ernährung, dazu kommen die Medikamente.»

Diese Massnahmen unterstützen Lou in ihrem alltäglichen Leben, damit sie in ihrer Selbständigkeit und trotz diesem «angebunden sein» all dem nachgehen kann, was für ihre Zukunft wichtig ist. Heute geht es ihr damit gut, und sie darf auch bereits wieder ein ganz kleines Päckli Chips essen, wie sie begeistert berichtet.

All dies erzählt sie auch den aufmerksamen Jugendlichen, die am Gendertag – oder Zukunftstag der Kinderspitex teilnehmen. Es ist für alle sehr wertvoll, dass Lou ihre Geschichte teilt und es werden auch Fragen gestellt, denn als gesunder Mensch kann man sich wohl oft nicht vorstellen, was es bedeutet, wenn eine Krankheit den Alltag prägt.

Doch Lou ist zuversichtlich, aufgestellt und macht Mut, den eigenen Weg zu gehen. Im Sommer wird sie mit einer Lehre beginnen.

Und wir wissen, sie lässt sich nicht so schnell unterkriegen, auch dann nicht, wenn die Sommerferien ganz anders ausfallen.

// Text: Karin Martin und Lou Merz
// Im Bild: Lou mit Karin Martin