Lorîn

Lorîn, die kleine grosse Kämpferin. Sie überwindet bereits vor ihrer Geburt die ersten Hürden und zeigt uns allen, wie es emeinsam gelingen kann, den Mut ins Leben nicht zu verlieren.


Die Eltern erzählen
Ein Kind ist unterwegs – ein absolutes Wunschkind, die Freude ist gross. Doch die Schwangerschaft bereitet von Anfang an Sorgen. Frau Ö. verliert an Gewicht anstatt zuzunehmen, in der 13. Schwangerschaftswoche bekommt sie plötzlich Blutungen und in der 17. Woche verliert sie zusätzlich Fruchtwasser. Im Spital rechnet man zunächst mit einer Fehlgeburt, doch Lorîns Herz schlägt weiter. Es folgt eine wochenlange Odyssee für die Mutter. Über Wochen hinweg muss sie liegen, täglich verliert sie Blut und Fruchtwasser. Während Lorîn ohne Fruchtwasser im Trockenen liegt, entkräftet Frau Ö. immer mehr. Sie mag nichts mehr essen, nur schon der Geruch davon erzeugt Übelkeit. Daneben erlebt sie wechselnde Bettnachbarinnen, welche sich auf ihre Geburt, beziehungsweise auf ihr Kind, freuen. Tag für Tag hört Frau Ö. Mütter mit ihren Kindern im Garten, während sie Stunde um Stunde um ihr eigenes Kind bangen muss. Immer wieder wird ihr das Einleiten einer vorzeitigen Geburt empfohlen, so wäre Lorîn aber nicht lebensfähig. Lorîn muss schon vor ihrer Geburt um ihr Leben bzw. für die Chance auf ein Leben kämpfen. Trotz massiver Übelkeit beginnt Frau Ö. für ihre Tochter wieder an zu essen. Trotz den schlechten Voraussetzungen gedeiht Lorîn – sie wächst und nimmt zu.

2 Tage nach der 23. Schwangerschaftswoche kann die Geburt nicht mehr aufgehalten werden und Lorîn kommt als extreme Frühgeburt zur Welt.

Die Angst um ihr Kind ist äusserst gross, bis sie Lorîn nach einem Tag endlich sehen können. Es folgen 15 intensive Monate – geprägt vom Kampf um Lorîns Überleben. Dabei ist die Angst der ständige Begleiter der Familie. Immer wieder folgen Telefonate vom Spital mit alarmierenden Nachrichten. Dann irgendwann die Empfehlung der Ärzte für einen Luftröhrenschnitt. Lorîn könne so schnell nicht eigenständig atmen und es brauche eine längerfristige Lösung. Die Eltern leben über Monate hinweg in einem absoluten Ausnahmezustand und sind emotional komplett erschöpft. In diesen schweren Stunden müssen sie lernen ihrer Tochter zu vertrauen. Vertrauen, dass sie für sich selber kämpfen kann und stark genug zum Leben ist. Das gibt den Eltern die Kraft erneut Hoffnung zu schöpfen.

Ein starkes Team
Um Lorîns 1. Geburtstag herum kommt eine stabile Zeit. Im Spital beginnt man den Austritt zu planen. Den Eltern wird klar, dass sie nicht nur Eltern, sondern auch kompetente Pflegende für ihre Tochter sein müssen. Allmählich wird Ihnen die Dimension der Pflege zuhause bewusst.

Zu diesem Zeitpunkt wird die Kinderspitex Nordwestschweiz miteinbezogen. Ein Kind wie Lorîn zu Hause zu pflegen bedeutet, dass man ein Intensivpflegeumfeld schaffen muss. Das benötigt eine entsprechende Vorbereitungszeit – es braucht Absprachen und eine vorausschauende Planung. Während die Eltern von den Pflegefachpersonen im Spital professionell für die Pflege geschult werden – auch auf Notfallsituationen hin angeleitet werden – wird ein Team aufgebaut, welches in der Lage ist, eine Intensivpflege von 84 Stunden pro Woche zuhause zu leisten. Das Team muss gross genug sein, um die nötige Flexibilität aufzubringen, aber klein genug, um eine Bezugspflege gewährleisten zu können. Gemeinsam mit der Teamleiterin und den Eltern besprechen wir den zukünftigen Tagesablauf. Wir besuchen die Familie schon im Vorfeld, damit gemeinsam das Kinderzimmer für eine solch komplexe Pflege mit den entsprechenden Hilfsmitteln eingerichtet werden kann.

Ist ein Kind wie Lorîn aus dem Spital ausgetreten, so bricht die Verbindung zum Spital nicht ab. Das ganze externe Behandlungsteam arbeitet weiterhin eng mit den Fachärzten und den zuständigen Pflegefachpersonen der Intensivstation zusammen. Die Eltern sind ein wichtiger Bestandteil des Behandlungsteams. Die Koordination so vieler Personen und Fachstellen bedeutet eine komplexe Kommunikation und aufwändige Organisation. Wir sind aufeinander angewiesen – auf die Bereitschaft für eine gute Zusammenarbeit. Aber es lohnt sich. Nur gemeinsam mit einem starken Team können wir Lorîn mit hoher Qualität unterstützen, damit sie optimal gefördert werden kann. Und auch, damit das gesamte Team stabil bleibt und professionelle Arbeit leisten kann.

Endlich daheim – Alltag mit Lorîn
Nach 15 Monaten ist es soweit – Lorîn darf heim. Endlich eine richtige Familie sein. Alle sind gespannt und auch ein wenig nervös, wie es laufen wird. Es werden vermutlich so einige Überraschungen und Herausforderungen auf uns zu kommen.

Die Eltern spüren schnell, wie anstrengend sich der Tagesablauf mit Lorîn gestaltet. Aber ihre Freude und Dankbarkeit sind überwältigend - die Liebe zu Lorîn lässt sie ihre Müdigkeit akzeptieren. Von nun an teilen sie ihre Wohnung mit ganz vielen Menschen – Physiotherapie, Frühförderung, Logopädie, aber auch die Kontrollen der Kinderärztin; alles findet bei ihnen zu Hause statt. Jede Nacht und stundenweise auch tagsüber sind wir von der Kinderspitex vor Ort - um Lorîn zu pflegen und zu überwachen, die Eltern in der Pflege abzulösen oder auch gewisse Dinge mit den Eltern zusammen durchzuführen. Jede vom 11-köpfigen Team ist individuell – immer wieder heisst es für die Familie sich neu darauf einzulassen.

Für uns Pflegefachfrauen bedeutet es, sich immer wieder in der Zusammenarbeit mit den Eltern oder auch mit aushelfenden Verwandten abzusprechen und sich darauf einzustellen. Es bedeutet sich einzulassen auf ihren Alltag, ihre Sitten und ihre Kultur und dennoch professionell zu handeln. Jede Pflegende vor Ort weiss, es wird sich mit der Zeit eine Gewöhnung und Routine einstellen. Lorîn ist nicht mehr das Intensivkind, angehängt an vielen Schläuchen und Geräten. Und trotzdem kann es jederzeit zu einer lebensbedrohlichen Situation kommen, bei der man sofort adäquat handeln muss.

Ohne die Bereitschaft beider Seiten – Teil eines starken Teams zu sein – geht es nicht.

Nun ist Lorîn schon seit 5 Monaten zuhause. Notfälle sind vorgekommen – sie wurden gemeistert. Aber auch der Alltag hat sich eingestellt. Es macht Freude zu sehen, wie prächtig sich Lorîn entwickelt. Ihr sonniges Gemüt macht es uns als Pflegefachfrauen der Kinderspitex leicht, Herausforderungen anzunehmen und sich auf das Abenteuer «Lorîn» einzulassen. Es entsteht natürlich eine Bindung und Beziehung zu Lorîn, aber auch zur ganzen Familie. Als Team sind wir in einem stetigen Prozess – es geht darum, die Nähe und Zuneigung zuzulassen und dennoch in einer gesunden Balance auch die notwendige Abgrenzung zu schaffen.

Von Seiten der Eltern werden die Unannehmlichkeiten des ständigen Umtriebs zu Hause gerne in Kauf genommen. Sie sind enorm dankbar für die Arbeit der Kinderspitex. Was ihnen immer wieder das Herz erwärmt, ist die Warmherzigkeit und Fröhlichkeit, mit der die Pflegefachpersonen der Kinderspitex mit Lorîn umgehen. Es wird deutlich, dass die Mitarbeiterinnen ihre Tochter richtig mögen. Und so ist es auch. Beobachtet man von aussen, wie Lorîn mit ihrem Charme alle um den Finger wickeln kann, dann ist klar, wer dieses Team stark macht und zusammenhält. Sie hat eben nicht nur von Anfang an alleine kämpfen müssen, sondern hat auch ihren Eltern gelernt, wieder Vertrauen ins Leben zu haben. Vertrauen, dass es am Ende doch gut kommt.

// Text: Stephanie Schleith, Einsatzleitung
// Im Bild: Lorîn mit Pflegefachfrau Nicole Jenny