Kilian

«Der Mensch wächst an seinen Aufgaben.» Erfahren Sie von der Mutter von Kilian und von unserer Mitarbeiterin Sandra Perazzi ein bisschen aus dem Alltag einer Familie, deren Alltag alles andere als alltäglich ist.

Mutter: Unsere Geschichte ist schon so umfangreich, es könnte locker ein Buch gefüllt werden – aber keine Angst, wir fassen uns kurz.

Unsere kleine Familie besteht aus Papa Christian; 40 Jahre, Messebauer, leidenschaftlicher Knobelspielelöser und Krimiverschlinger – Mama Fabienne; 32 Jahre, Sekundarlehrerin, Nagellackliebhaberin und Kreativkopf – Fynn Collin; 3.5 Jahre, Wundertüte, iPad-Spielelieber und Kuschler sowie Kilian Bastian; 11 Monate, halbes Herzchen, zuckersüsser Dickkopf und Weltentdecker.

Fynn ist mit einer Gaumenspalte und einer sehr seltenen genetischen Anomalie zur Welt gekommen, weltweit nur 5 Mal dokumentiert. Dementsprechend gibt es keinen Namen dafür und man kann über seinen Entwicklungsverlauf keine Aussage machen. Aktuell ist er auf dem Entwicklungsstand eines ca. 2-Jährigen. Fynn ist unsere Wundertüte, äusserst ,liebesbedürftig, sehr an anderen Kindern interessiert, ein momentaner Bücherverschlinger und Strahlemann. Aus tiefstem Herzen haben wir uns ein Geschwisterchen für Fynn gewünscht. Nach ausführlicher Abklärung und einem absolut unauffälligen Chromosomensatz ist im Organscreening in der 24ten Woche dennoch der schwere Herzfehler bei Kilian identifiziert worden, ein sogenannter DILF (Double Inlet Left Ventricle). Ein absolut zufälliger, laut Ärzten, nicht selbstverschuldeter Entwicklungsfehler. Die Schuldgefühle sind aber trotzdem da. Die Ärzte erklären uns, dass Kilian mehrere grosse Operationen vor sich hat. Wenn alles optimal verläuft, wird er sein eigenes Herz zwanzig bis dreissig Jahre behalten können, bis er ein Spenderherz benötigen wird. Die Welt bricht kurzfristig unter uns zusammen. Was heisst das für uns als Paar, als Familie? Können wir den Bedürfnissen unserer beiden Jungen gerecht werden? Warum haben gerade wir diese Monsteraufgabe mit unseren zwei Jungen gefasst? Warum können wir keinen normalen Familienalltag leben? Fragen über Fragen…

Fynn hat seit Geburt Physiotherapie, Logopädie und heilpädagogische Früherziehung. Daneben sind wir in vielen ärztlichen Institutionen - wie Augenkontrolle, HNO-Gehörkontrolle, neurologische und neuropädiatrische Untersuchungen – gut vertreten. Bei Kilian wird es ähnlich ablaufen. Okay, wir kennen das ja schon alles, das können wir auch noch koordinieren. Wir freuen uns auf unser zweites kleines Wunder. Wir wollen unserem Kilian – der Name bedeutet: der Kämpfer – die Chance ermöglichen, seinen Lebenswillen zu zeigen.

Am 8. Januar 2019 ist es soweit, Kilian kommt in Zürich zur Welt und sein Kämpfernaturell wird aktiv. Ein langer und mehr als beschwerlicher Weg beginnt für Kilian. Geplante und ungeplante Steine muss unser kleiner Junge aus dem Weg räumen. Mehr als einmal ist Kilian dem Tod von der Schippe gesprungen. Mehr als einmal haben wir uns gefragt, ob wir uns richtig entschieden haben unseren Jungen auf die Welt zu holen. Aber Kilian kämpft, er macht seinem Namen alle Ehre und nach 7.5 Monaten ist es endlich soweit: wir dürfen unseren Kämpfer zu uns nach Hause nehmen. Die erste Zeit zu Hause ist schwierig, kräftezehrend und von Schlafmangel und Tränen gezeichnet. Bei weitem läuft nicht alles gleich so wie es soll. Glücklicherweise sind wir sehr gut unterstützt durch die Kinderspitex Nordwestschweiz und unsere Familie, welche überall an allen Ecken und Enden mitanpackt. Auch unsere diversen Entwicklungsunterstützer tun ihr Gutes dazu.

Wie wir das alles packen? Keine Ahnung… Geduld, Kraft, gute Gedanken, viel positive Energie und die Eigenschaft des «Stehaufmännchens» haben uns sehr geholfen. Mit der Zeit werden wir gelassener, die Termine werden weniger und geordneter, es beginnt sich wieder ein Alltag einzustellen. Wir geniessen unsere beiden Jungen in vollen Zügen. Wir würden unsere Powerbündel niemals mehr hergeben. Unser Schild an der Haustür hat eine enorme Bedeutung für uns: «Die Vergangenheit ist Geschichte, die Zukunft ist Geheimnis, aber jeder Augenblick ist ein Geschenk». Denn jeder Mensch wächst an seinen Aufgaben, wenn er sie annimmt und versucht das Beste daraus zu machen.

Kinderspitex: Mittwoch 07:45 Uhr: mit einem fröhlichen «Guten Morgen» betrete ich das Haus der Familie Suter. Mit einem herzlichen Morgengruss werde ich begrüsst, wobei mich meist gleichzeitig drei lachende Gesichter in der Küche empfangen.

Die Mutter von Kilian ist dabei, die vielen Medikamente, die er täglich braucht, in Spritzen aufzuziehen, damit sie rechtzeitig von mir sondiert werden können. Gleichzeitig erwärmt sie seinen Schoppen zum Sondieren und achtet zugleich darauf, dass ihr Sohn Fynn weder Kilian beisst, noch etwas vom Tisch reisst. Der ganzalltägliche Morgen der Familie Suter beeindruckt mich immer wieder aufs Neue. Mit welcher Ruhe und Gelassenheit es von der Mutter her abläuft und sie dabei immer ein Lachen im Gesicht hat. Überdies findet sie noch Zeit für einen kurzen Schwatz und die Rapportübergabe mit mir.

Während Frau Suter nun mit Fynn das Frühstück isst, übernehme ich die Verantwortung und Überwachung von Kilian. Dazu gehören wickeln, Sauerstoffsättigung messen, Medikamente verabreichen, Nasen- und Narbenpflege, anziehen und anschliessend die Nahrung über die Sonde verabreichen, da Kilian den Schoppen nicht trinken möchte. Dies auch immer im Rahmen der Überwachung, damit wir auch bei den alltäglichen Aktivitäten beurteilen können, wie es Kilian geht, wenn er sich zum Beispiel durch die Nahrungsaufnahme anstrengen muss. Denn gerade für Kinder mit einer Herzerkrankung können schon die einfachsten Dinge wie Körperpflege oder die Nahrungsaufnahme zu einer grossen körperlichen Belastung werden.

Ich spüre, wie Frau Suter es geniesst, ihre Aufmerksamkeit voll für Fynn zur Verfügung zu haben. Er braucht Hilfe beim Essen, beim Trinken und Unterstützung bei vielen weiteren alltäglichen Aktivitäten. Währenddessen versorge ich Kilian und achte darauf, dass er möglichst nicht erbricht. Dies geschieht allerdings oft – manchmal mehrmals täglich – was bedeutet, alles neu anzuziehen, Kilian zu waschen, je nach Umstand das Bett neu zu beziehen. Ist Frau Suter morgens alleine, übernimmt sie die Aufgaben für ihre beiden Buben eigenständig. Eine äusserst anspruchsvolle logistische Herausforderung, für welche ich eine grosse Bewunderung verspüre.

Eine tolle Familie, welche ihren wirklich nicht sehr einfachen Alltag mit Bravour und einer Leichtigkeit meistert, dass ich nur staunen kann. Und dies mit einem stets freundlichen Lachen auch für uns Pflegefachfrauen der Kinderspitex.

Der Alltag ist verplant und bestimmt durch Termine für Kilian – seine Mahlzeiten zu festen Zeiten und seine Medikamente sowie für seinen Bruder, damit er eine optimale Förderung erhält.

Es ist ein Geschenk, für kurze Zeit den Alltag dieser Familie begleiten und unterstützen zu dürfen. Es zeigt mir jedes Mal wieder auf, wie wertvoll und wichtig unsere Arbeit ist und welch grosse Unterstützung und Hilfe ein paar Stunden Pflege für die Familie sein können.

// Text: Mutter von Kilian und Sandra Perazzi, Pflegefachfrau HF
// Im Bild: Kilian mit Mutter, Bruder und Pflegefachfrau Sandra Perazzi